Cabo Verde
Auf dieser Seite berichte ich regelmäßig über die verschiedenen Projekte, die ich auf den Kapverdischen Inseln verfolge. Seit August 2010 habe ich meinen Zweitwohnsitz in Mindelo auf der Insel São Vicente und verbringe hier einen guten Teil des Jahres.
Angefangen hat alles im Herbst 2007, „Ritmos do Brasil“ war gerade in die Läden gekommen und ich auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Zufällig bekam ich einige kapverdische CDs in die Hände und war sofort begeistert von dem Mix unterschiedlicher Stilistiken, der sich dort herausgebildet hat. Im Mai 2008 besuchte ich Cabo Verde zum ersten Mal und von da an war es um mich geschehen. Zunächst ging es mir vor allem darum, die traditionellen Rhythmen aufzunehmen und zu transkribieren um daraus ein neues, interessantes Lehrbuch zu machen. Aber sehr schnell kamen andere Projekte hinzu, die die Arbeiten an dem Lehrbuch verzögerten. Mittlerweile habe ich meine eigene drums&percussionschule in Mindelo, bereits zweimal holte ich kapverdische Musiker für Tourneen nach Deutschland und ich gebe regelmäßig Kurse für die kapverdische Uni. Das Lehrbuch wird es irgendwann auch geben, nur hat das im Moment keine Priorität.
Zunächst aber einige allgemeine Informationen zu den Kapverden. Die erste Reaktion der Leute auf das Thema „Kapverden“ ist nämlich die: Kapverdische Inseln ? Wo liegen die denn?

Geschichtlicher Hintergrund
500 km vor der Westafrikanischen Küste befindet sich das Archipel der Kapverdischen Inseln. Die 10 halbkreisförmig angeordneten Inseln vulkanischen Ursprungs gehören geographisch zur Sahelzone. 1460 von den Portugiesen entdeckt, war Cabo Verde im 16. und 17. Jahrhundert die Drehscheibe des transkontinentalen Sklavenhandels. Hier trafen erstmals die aus den verschiedensten Regionen Afrikas verschleppten Menschen zusammen, wurden getauft und erlernten die notwendigsten Fähigkeiten, um anschließend in der Neuen Welt gewinnbringend verkauft zu werden. Recht früh entwickelte sich eine eigene Sprache aus dem Portugiesischen und verschiedenen afrikanischen Dialekten. Diese als Creolo bezeichnete Sprache wird von den Einwohnern Cabo Verdes bis heute benutzt und es gibt Bestrebungen, das Creolo als offizielle Landessprache zu etablieren. Im 18. Jahrhundert verdrängten allmählich andere europäische Großmächte Portugal von seiner Vormachtstellung im Sklavenhandel. Damit begann auch der wirtschaftliche Niedergang Abstieg, beschleunigt durch die wiederholten Plünderungen englischer, französischer und holländischer Freibeuter. Vor allem auf der Hauptinsel Santiago gelang vielen Sklaven die Flucht ins unwegsame, gebirgige Hinterland. Sie wurden von den Portugiesen als Vadios bezeichnet, Vagabunden also, die sich weigerten für die Kolonialherren zu arbeiten was ihnen fälschlicherweise als Faulheit ausgelegt wurde. Im Creolischen wird aus Vadio Badyo und so bezeichnen sich viele Leute aus Santiago noch heute. Die Portugiesen konzentrierten sich auf ihre Geschäfte an der Küste und es gelang ihnen nie, die Kontrolle über die gesamte Insel zu erlangen.
Im 19 Jahrhundert errichteten die Engländer auf São Vicente ein großes Kohlelager für die aufkommende Dampfschifffahrt und auch das erste Transatlantikkabel wurde von hier aus nach Südamerika verlegt. Nach einer kurzen Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs verloren die Häfen Cabo Verdes im 20 Jahrhundert mit dem Ende der Dampfschiffe wieder an Bedeutung. Längere und wiederholte Dürreperioden zwangen viele Kapverdianer zur Auswanderung. 1975 wurde Cabo Verde von den Portugiesen in die Unabhängigkeit entlassen. Heute präsentiert sich Cabo Verde als eine stabile Demokratie mit sozialem Frieden, die auch für ausländische Investoren zunehmend interessant wird. Vor allem die Touristikbranche verzeichnet von Jahr zu Jahr steigende Umsätze. Damit einher geht auch ein zunehmendes Interesse an der Kultur des Landes, welche man zu recht als einzigartig bezeichnen kann.
Das zentrale Charakteristikum der Kapverdischen Kultur ist die Vermischung europäischer und afrikanischer Einflüsse. Im Gegensatz zu den Ländern Lateinamerikas und der Karibik, in denen ebenfalls das Aufeinandertreffen europäischer, afrikanischer und indianischer Kultur zu ganz neuen künstlerischen Ausdrucksformen führte, bleibt festzustellen, dass die Kapverdischen Inseln insofern einen Sonderstatus einnehmen, als dass sie vor ihrer Entdeckung durch die Portugiesen unbewohnt waren. Anhand Cabo Verdes lässt sich deshalb der Prozess der Kreolisierung in reiner Form studieren, d.h. ohne Berücksichtung eines Einflusses einer einheimischen Bevölkerung, so wie es in Amerika der Fall war.
Mit der Erlangung der politischen Souveränität rückte auch die Frage nach der nationalen und kulturellen Identität Cabo Verdes in den Vordergrund. Während der portugiesischen Kolonialherrschaft wurden im Bereich der Musik nur all jene Stilistiken ernst genommen, die sich klar an europäischen Musikformen orientierten. Musik und Tanz, der sehr stark von afrikanischen Einflüssen geprägt war, wurde abgelehnt bis hin zum regelrechten Aufführungsverbot. Batuko, Funaná, Tabanca und Kóla San Jom erfuhren teilweise erst Jahre nach der Unabhängigkeit eine gewisse Renaissance. Die heutige Generation kapverdischer Musiker, frei von den Fesseln der Vergangenheit, bedient sich selbstverständlich aus diesem Fundus und schafft immer wieder neue interessante Interpretationen der althergebrachten Rhythmen.

Die Musik der Kapverden
Nachfolgend eine kurze Übersicht der verschiedenen Musikstile, mit Schwerpunkt auf den traditionellen Rhythmen der Inseln.

Ilha de Santiago
Santiago gilt allgemein als die „afrikanischste“ Insel Cabo Verdes. Tatsächlich sind die Menschen hier von ihrem ganzen Typus her afrikanischer als auf den Nachbarinseln. Dies gilt auch für die Musik Santiagos. Die drei wichtigsten Genres sind Batuko, Funaná und Tabanka.

Batuko
Batuko ist die älteste und ursprünglichste Musikform Cabo Verdes. Eine Gruppe von Frauen bildet einen Halbkreis und trommelt auf selbst gebastelten „Trommeln“. Früher waren dies zusammengerollte Stofftücher, sogen. Panos, die sich die Frauen über die Beine legten. Heute steckt man die Stofftücher in Plastiktüten oder umwickelt sie mit Klebeband weil dies einen besseren Sound erzeugt. Gemeinsam erzeugen sie eine komplexe Polyrhythmik (3 über 2 als Grundmotiv). Dazu gesellt sich der Wechselgesang zwischen der aufrecht stehenden Leadsängerin und dem sitzenden, trommelnden Chor. Die Texte sind weitgehend improvisiert und handeln von allen möglichen Themen, von Beschreibungen des Alltags bis hin zu philosophischen Betrachtungen über das Leben. Auf diesen als Finaçon bezeichneten Teil folgt die Tchabéta, eine Intensivierung des Begleitrhythmus und nachfolgend der Torno, ein ekstatischer Tanz, bei dem die Tänzerin höchst erotisch mit der Hüfte schwingt.

Die Batucadeiras Terraros dos Orgãos im Quintal da Música, Praia (Santiago)
Hörbeispiel, aufgenommen am 14. Mai 2008 im Quintal da Música
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Tabanka
Tabankas sind komplexe Vereine, in denen sich die Mitglieder untereinander zu gegenseitiger Solidarität und Hilfe im Notfall verpflichten. In den jährlichen Prozessionen der Tabankas zu Ehren bestimmter Heiliger kommen aber auch mystisch-religiöse Aspekte zum Vorschein. An Musikinstrumenten werden bei diesen Umzügen Trommeln und so genannte Buzios verwendet, das sind Muscheln, auf denen rhythmisch geblasen wird. Über den hypnotischen Grundrhythmus der Trommler legt sich das bis zu vierstimmige Geflecht der Buzios. Die Umzüge erinnern ein wenig an Karneval, weil die Menschen sich verkleiden und singend und tanzend durch die Straßen ziehen. Figuren die bei keinem Umzug fehlen, sind König und Königin, Gefangene, Diebe, Richter und Soldaten.


Trommler und Buzío-Spieler der Tabanka de Varzéa in Praia, Santiago.

Hörbeispiel, aufgenommen am 22.Oktober 2008 in Varzea
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Funaná
Funaná ist die klassische Form der Tanzmusik auf Santiago. An Instrumenten wurden früher ausschließlich ein diatonisches Akkordeon und ein als Ferrinho bezeichnetes Perkussionsinstrument verwendet. Hierbei handelt es sich um ein etwa 80cm langes Winkeleisen, über welches man mit einem Messer auf und ab gleitet und dabei einen flirrenden, durchdringenden Klangteppich erzeugt. Heutige Funaná-Gruppen, wie zB die Gruppe Ferro Gaita aus der Hauptstadt Praia, verwenden zusätzlich Bassgitarre, Schlagzeug und Percussion.


Codé di Dona, der Altmeister des Funaná und sein Sohn Lucio am Ferrinho
Hörbeispiel, aufgenommen am 21. Oktober 2008 in Codé di Donas Wohnzimmer
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Ilha do Fogo
Die Insel Fogo war nach Santiago die zweite Insel, die von den Portugiesen dauerhaft besiedelt wurde. Die Bewohner von Fogo gelten als sehr traditionsbewusst. Mit entsprechend großem Aufwand feiert man hier alljährlich die Festas da Bandeira (Fahnenfeste),die an den Namenstagen bestimmter Heiligen stattfinden. Afrikanische und portugiesische Elemente vermischen sich hier in einzigartiger Weise.
Elemente mit stark afrikanischem Charakter sind: das Maisstampfen (Pilão): Zubereitung von Xerém auf der Grundlage von Mais, begleitet durch Musik und Tanz,und die als Matança bezeichnete rituelle Schlachtung von Tieren.
Die religiösen Programmpunkte des Festes (Prozessionen und Messen) beruhen hingegen auf alten portugiesischen Traditionen. Integraler Bestandteil sind aber auch Pferderennen und Geschicklichkeitsprüfungen für Pferde und Reiter, die an mittelalterliche Ritterspiele erinnern. All diese Aktivitäten werden durch spezifische Trommelrhythmen begleitet. Fogo ist die Insel mit der größten Anzahl verschiedener Rhythmen. Valdomiro Dias, der „primeiro tamboreiro“ (Cheftrommler) höchstpersönlich, lehrte mich, diese Rhythmen zu spielen.


Valdomiro Dias, primeiro tamboreiro da Ilha do Fogo, so lautet sein offizieller Titel.
Hier nun ein Livemitschnitt meines Unterrichts bei Valdomiro, aufgenommen am 11. Oktober 2008.
Download Toque de Pilão MP3-Datei (569 kB)
Download Braga Maria MP3-Datei (760 kB)
Download Brial de Preto MP3-Datei (1.210 kB)
Download Brial dos Cavaleiros MP3-Datei (1.109 kB)

Valdomiro spielt die große Tambor, wie sie auf dem Foto zu sehen ist. Ich spiele auf einer tief gestimmten brasilianischen Caixa (Malakacheta).

São Vicente und Santo Antao
Die Besiedlung der Inseln des Barlavento (São Vicente, Santo Antao, São Nicolau) ging von den Sotavento-Inseln aus (Santiago, Fogo, Brava, Maio). Folglich gibt es im Bereich der traditionellen Rhythmen einige Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. Wichtigster traditioneller Rhythmus ist der Kóla San Jom, der an bestimmten Namenstagen gespielt wird. Die Trommler der Barlavento-Inseln spielen mit einer anderen Stockhaltung als die Trommler der Insel Fogo. Die Rhythmen sind eindeutig verwandt aber sie werden insgesamt schneller und in gewisser Weise wilder gespielt. Häufig hat man den Eindruck, dass sich die Trommler in Trance trommeln.
Die Musik der Barlavento-Inseln ist insgesamt stärker von Europa aus geprägt. Es gibt Einflüsse aus England, Frankreich und Osteuropa (Mazurka, Contradança, Valsa, Polca). Auf der Insel São Vicente ist der Einfluss der brasilianischen Musik bis auf den heutigen Tag sehr groß. Der Karneval in Mindelo (Hauptstadt von São Vicente) wird nach dem Vorbild Rio de Janeiros gefeiert.
Mindelo gilt auch als der Ort, wo sich die Morna, jener schwermütige, melancholische Musikstil, der durch den internationalen Erfolg Cesaria Évoras so kennzeichnend für die Kapverden geworden ist, entwickelt hat. Die schnelle Variante der Morna heißt Coladeira und entstand in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts ebenfalls in Mindelo.




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